Friedhofskultur - immaterielles Kulturerbe

Friedhofkultur als immaterielles Kulturerbe hat viele Ausprägungen. Da ist der kleine Dorffriedhof, rings um eine mittelalterliche Feldsteinkirche. Da gibt es aber auch historisch geprägte Parkfriedhöfe, die zum Verweilen einladen. An anderen Stellen finden sich schlichte und einfache Anlagen. Auf vielen Friedhöfen sind Themengärten entstanden und vielfältige Grabarten werden angeboten. Die Individualität und Vielfalt unserer Gesellschaft drückt sich auch auf kirchlichen Friedhöfen aus.

Die Entwicklungen der Jahrhunderte prägten die Haltungen und Sichtweisen der Menschen. Rituale bildeten sich heraus, Traditionen werden gelebt, gestaltet und verändern sich. Friedhofs- und Trauerkultur verändert sich stetig. Unsere Friedhöfe sind ein Ausdruck dafür. Hier begegnen sich Tod und Leben. In all ihren unterschiedlichen Gestaltungen wollen kirchliche Friedhöfe dem Anspruch eines kulturellen Erbes gerecht werden. Dabei sind immer die Menschen mit ihren Bedürfnissen, Ängsten und ihren Hoffnungen  im Blick. Friedhöfe sind Vielfalt – bis heute. Sie sind Trauer- und Gedenkorte. Sie sind aber auch lebendige Begegnungsorte, die nach Zukunft fragen. Sie  fördern die Biodiversität und bilden grüne Lungen in den Städten. Sie erzählen Geschichten und schlagen einen großen Bogen von denen, die vor uns waren bis hin zu uns heute.
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Geschichtliche Marker der Friedhofskultur

  • Frühchristliche Verantwortung der Gemeinschaft
    • Die christliche Gemeinde kümmerte sich schon früh um die würdevolle Bestattung der Toten. Damit widersprachen sie den römisch-heidnischen Bestattungskulten.
    • Neue Grablagen entstanden oft in der Nähe von Märtyrergräbern.
  • Verbot der Verbrennung
    • Im Jahr 782 regelte Karl der Große die christliche Bestattung in einem Gesetz.
    • Darin wurde befohlen, dass sich die christlichen Sachsen auf Kirchhöfen bestattet werden sollten und nicht mehr auf heidnischen Grabhügeln verbrannt werden durften.
  • Katholische Lehre und die Bindung an den geheiligten Ort
    • Da Märtyrer eine wichtige Rolle in der Ausprägung christlicher Bestattungskultur spielten entstand der Reliquienkult. Knochen oder Kleidungsstücke von Märtyrern übernahmen in Form von Reliquien zunehmend die Funktion der Fürsprache für die Toten. In der täglichen Messliturgie wurden in Fürbitten die Heiligen als Mittler bei Gott angerufen. Die Bestattungen fanden zunehmend  in und rund um die Kirchen herum statt.
    • Der Kirchhof wurde so zu einem heiligen Ort, deren Zentrum die Kirche mit dem Altar war. So gab es bald schon Gräber in den Kirchen selbst, wobei die Nähe zum Altar ein besonderes Privileg war. Zunächst galt dies zumeist für Geistliche, später auch für Herrscher und deren Familien. Die gläubigen Laien wurden auf dem Kirchhof bestattet, wobei sich auch hier eine klare Hierarchie der Grablagen herausbildete. Mit absteigendem sozialen Status lagen die Gräber immer weiter von der Kirche entfernt. Hingerichtete und Kinder, die ohne Taufe starben wurden oft außerhalb der Friedhofsmauern begraben oder aber im Bereich der Nordmauer. Wenn einem Menschen ein Grab in geweihter Erde auf dem Friedhof verwehrt wurde bedeutete das für die Menschen dieser Zeit, der ewigen Verdammnis anheim zu fallen und keinen Anteil in Form jenseitiger Erlösung zu haben.
  • Luthers Erkenntnis der Freiheit
    • Angewidert vom damaligen Reliquien- und Ablasshandel war Martin Luther (1483-1546) zu der Erkenntnis gekommen, dass der Mensch sich das Selenheil nicht verdienen kann und muss. „Allein durch Gnade wird der Mensch vor Gott gerecht“, das war seine bahnbrechende Erkenntnis. Insofern war die Schlussfolgerung, dass der Ort, wo eine Leiche bestattet wird nichts mit dem Seelenheil zu tun hat, eine logische Konsequenz. Weder Ablass noch andere Totenkulte führen zur Gnade Gottes. Aus diesem Grunde schrieb Luther einmal, dass es ihm angesichts des ungepflegten Wittenburger Kirchhofs einerlei sei, ob er in der Elbe oder im Walde liegen würde. Die Trennung der Grablage vom geheiligten Ort wurde möglich.
  • Verlagerung von Friedhöfen
    • Im späten 15. und 16. Jahrhundert stiegen die Bevölkerungszahlen trotz der vielfältigen Pestepedemien in Deutschland enorm an. Unterstützt wurde dies durch medizinische Erkenntnisse, das Thema Hygiene wurde entdeckt.
    • Kirchhöfe wurden, da sie meist sehr zentral lagen, zu stark belebten Orten. Feste, Handelsmärkte, Ämterbesetzungen, Eheschließungen und andere Rechtshandlungen  waren hier teilweise bis ins 19. Jahrhundert hinein üblich. Auf den Kirchhöfen befanden sich häufig Wirtschaftsgebäude unterschiedlichster Art. Freie Flächen wurden als Weide genutzt und dem Pfarrer oder Küster stand der Niesbrauch des Grases zu. Es gibt aus dieser Zeit schriftliche Belege, die die Sorge um die Toten deutlich werden lassen. In dieser Situation bot die Schaffung außerörtlicher Friedhöfe Abhilfe.
  • Parkfriedhöfe  - gestaltete Erinnerungslandschaften
    • Die Unabhängigkeit der Grablage vom geheiligten Ort wirkte wie eine Erlaubnis zur Suche immer neuer Bestattungsorte. Die schon im 17. einsetzende, sich aber besonders im 18. Jahrhundert einsetzende Entwicklung der Garten- und Parkbaukunst in Europa traf nun auf die aufkeimende naturreligiöse Sehnsucht vom Grab in freier Natur. Im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts zog es den Adel  im Zuge der Aufklärung aus der „Kirchen ehrwürdiger Nacht“ hinaus in den Schoß der Natur -  in die ideal gestaltete Natur des Landschaftsgartens.
  • Grabmale als individueller Ausdruck
    • Die sich verändernde Friedhofskultur und die teilweise sehr Gestaltung von Ruhestätten (Mausoleen, Grabkapellen, aufwändige Grabmale) folgte häufig dem Wunsch, im Tode die Bedeutung des gelebten Lebens noch einmal und dauerhaft hervorzuheben. Der Wunsch dem eigenen Besonderen postmortal noch einmal Ausdruck zu verleihen, erstreckte sich auch auf die traditionellen Friedhöfe.
    • Der Distinktion – also dem Versuch der Abgrenzung und Unterscheidung -  folgte die Imitation. Ärmere Schichten eiferten den Vorbildern nach. Im Zuge der wachsenden Städte und der Einkommensverbesserung der unteren Bevölkerungsschichten, konnten sich immer mehr Menschen ein Grabmal leisten. Es entstanden Trends. Im Gegensatz zu heute hätte im 19. Jahrhundert kaum jemand freiwillig auf ein Grabmal verzichtet.
  • Säkularisierung
    • Mit der Ablösung der Begräbnisplätze von den Kirchen und ihrer Verlegung auf außerörtliches Terrain wurden in mehrfacher Hinsicht Schritte zu ihrer Säkularisierung vollzogen. Dies betraf zunächst die Trägerschaft, die zunehmend verweltlicht wurde und in staatliche Hände überging. Die Religionsgemeinschaften blieben zwar weiterhin berechtigt, eigene Friedhöfe einzurichten, doch sie unterlagen zunehmend - vor allem in sanitärer Hinsicht - der staatlichen Aufsicht. Ein Beispiel ist die Gesetzgebung den „allgemeinen Landrechts der Preußischen Staaten“ von 1797.   Diese Veränderungen spiegeln sich noch heute noch in unserem Bestattungsgesetzen wieder.
    • Mit der Verweltlichung wurden Friedhöfe vielfach zu reinen Zweckeinrichtungen. Das Grab wurde dem religiösen Kontext entrissen.
  • Aufkommen der Feuerbestattung ab Mitte des 19. Jahrhunderts
    • Das Aufkommen der Bewegungen, welche die Feuerbestattung wieder propagierten, speiste sich einerseits aus hygienischen Argumenten (z.B. R. Virchow 1875), andererseits aber auch aus freigeistigen und freimaurerischen Gedankengängen die mit dem Dualismus von Materie und Geist an alte griechische Vorstellungen anknüpften. Diese Bewegungen entfalteten eine große Dynamik. Bereits 1931 gab es in Deutschland 104 Krematorien. 1920 erfolgte die förmliche Anerkennung der Feuerbestattung durch die  Evangelische Kirche und in den 60 Jahren auch durch die Katholische Kirche im Rahmen des zweiten vatikanischen Konzils.
  • Friedhofskultur in der Postmoderne
    • Wachsende Mobilität, der Rückgang der Großfamilie und der Ausdruck eigener Individualität diversifizieren die Friedhofskultur weiter.  Der demografische und kulturelle Wandel hat auch die Gräber erreicht. Hier geht es nicht nur um den Verlust bisher geltender Normen, sondern auch heute noch um Elemente von Distinktion und Imitation, die neue Entwicklungen anschieben. Menschen schaffen Erwartungen – es gibt hier kein Naturgesetz. Der Abkehr vom Gewöhnlichen steht die Suche nach Neuem, Einzigartigem gegenüber. Es entstehen Trends.
    • Neben vielfältigen Alternativen, wie einer Diamantpressung aus Ascheteilen, dem Einbringen von Ascheteilen in Schmuck oder Erinnerungsgegenstände, der Luftbestattung, einer Weltraumbestattung, der Vermischung von Asche mit Pflanzerde, der Seebestattung oder der Waldbestattung, haben traditionelle Friedhöfe immer noch eine zentrale Funktion. Immer noch werden die überaus größte Zahl von Menschen in Särgen oder Urnen bestattet. Bei allen Alternativen sehnen sich viele Menschen doch irgendwann nach einem konkreten Gedenk- und Erinnerungsort. Kirchliche Friedhöfe bieten das an. Dabei reicht die Palette hier von Rasengräbern, Urnengemeinschaftsanlagen, Baumbestattungen, Themengärten, Blühwiesen oder Kolumbarien bis hin zu Gedenkstellen für auf See bestattete Menschen. Gräber werden ohne Pflegeverpflichtung für Hinterbliebene angeboten. Es gibt Trauergruppen, Erinnerungsfeste und vielfältige Veranstaltungen von Musik bis gestaltender Kunst.

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